Im Rahmen seiner Mitarbeit bei der Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg – Projektgruppe Prävention nahm der Landesfrauenrat im Februar 2008 zum Präventionspakt Stellung: Der Landesfrauenrat begrüßte die Einrichtung der Projektgruppe „Prävention“, gehören doch Fragen der Gesundheit mit zu den Schwerpunkten seiner Arbeit.
Der Dachverband von 52 Frauenverbänden plädiert seit langem „für einen Vorrang der Prävention gegenüber der kurativen Behandlung, sowie der ganzheitlichen und Kräfte mobilisierenden Behandlung gegenüber dem Einsatz von Medikamenten, Geräten und invasiven Verfahren“, entsprechend der Empfehlung des bundesweiten Frauengesundheitsberichts (2002). (…) Für eine effektive Prävention ist es nach Einschätzung des LFR notwendig, bei der Konzeption und der Umsetzung einen geschlechtergerechten Ansatz zu berücksichtigen gemäß dem europäischen Leitbild des Gender Mainstreaming. Die unterschiedlichen physischen und sozialen Bedingungen von Frauen und Männern benötigen jeweils spezifische Maßnahmen, die auch die jeweils unterschiedlichen Ressourcen und Gefährdungen der Geschlechter einbeziehen sollten.
In der Stellungnahme heißt es wörtlich:
1. Ziele eines Präventionspakts aus frauenpolitischer Sicht
– Umsetzung der Erkenntnisse geschlechtsdifferenzierter Gesundheitsforschung;
– Unterstützung geschlechtsspezifischer Ansätze in der Prävention und der Gesundheitsförderung;
– die Förderung Ressourcen-orientierter Ansätze, die auf Kompetenzstärkung zielen;
– Einbeziehung der Praktikerinnen aus der Frauengesundheitsberatung und –therapie;
– Berücksichtigung spezifischer Gefährdungen und Ressourcen der Geschlechter;
– Schaffung gewaltfreier Lebenswelten für Frauen und Kinder.
Zu Gefährdungen der Frauen gehören insbesondere:
– Rollenzuweisungen mit Auswirkungen auf das Körperbild, die sich z.B. im Essverhalten und im Medikamentengebrauch/Missbrauch ausdrücken;
– teilweise fehlende Kenntnisse biologisch bedingter Unterschiede zwischen Frauen- und Männerkörpern (Stichwort: „Frauenherzen schlagen anders.“)
– Mehrfachbelastungssituationen der Frauen in Familie und Arbeitswelt;
– Gesellschaftlich sich durchsetzende Anforderungen, die zunehmend zu einer Übermedikalisierung natürlicher Prozesse (z.B. Schwangerschaft, Geburt) führen;
– Bedrohung durch sexualisierte, körperliche und psychische Gewalt als Alltagserfahrung
Präventionsangebote können auf vorhandene Ressourcen der Frauen im Gesundheits-verhalten aufbauen, z.B. auf eine durchschnittlich bewußtere Nutzung von Vorsorgeangeboten und ein durchschnittlich größeres Gesundheitsbewusstsein, das sich z.B. im Interesse an gesunder Ernährung und an der Wahrnehmung von Gesundheitsbildungsangeboten äußert.
2. Zielgruppen aus frauenpolitischer Sicht
Ergänzend zu den allgemein bereits genannten Zielgruppen des Präventionspaktes sind differenzierte Angebote für folgende Zielgruppen zu entwickeln:
– Mädchen und weibliche Jugendliche,
– erwerbstätige Frauen, Frauen in der Familienzeit, ältere Frauen
Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund sind besonders zu berücksichtigen.
3. Inhaltliche Schwerpunkte der Prävention
3.1. Mädchen und junge Frauen
– Förderung eines gesundheitsbewussten Alltagsverhaltens (gesunde Bewegung und Ernährung; Wahrnehmung von Vorsorgeangeboten)
– Förderung der Wahrnehmung des eigenen Körpers und Stärkung des Selbstwertgefühls. Besonders wichtig im Bereich der Suchtprävention und der Prävention gegen sexualisierte Gewalt.
Gesundheitsbewusstes Alltagsverhalten und Stärkung der eigenen Körperwahrnehmung können und sollen bereits in frühkindliche Bildung und Betreuung sowie in allen Schulen integriert sein.
Zur Vermittlung von Alltagskompetenzen gehören Kenntnisse über Herkunft und Zubereitung von Nahrung. Der Sportunterricht sollte explizit gesundheitsfördernde Haltungs- und Bewegungsabläufe vermitteln, ebenso ein Körperselbstbewusstsein. Gesundheitsbetonte, bewegungsfördernde Rythmisierung des Unterrichts und entsprechende Ausstattung der Schulräume können ebenfalls gesundes Bewegungsverhalten fördern.
Weiteres wichtiges Arbeitsfeld: Sexualaufklärung, Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten, Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und durch diese definierte Körperbilder.
Für die Umsetzung ist in vielen Fällen eine Arbeit mit geschlechtshomogenen Gruppen empfehlenswert
3.2. Erwachsene Frauen, Frauen in der Familienzeit
– Wahrnehmung von medizinischen Vorsorgenageboten
– Gesundheitsbewusstes Alltagsverhalten (Gesunde Ernährung, Bewegung, gesundheitsbewusster Umgang mit Kosmetika, Haushaltschemikalien, Einhaltung von Ruhephasen, Genesungszeiten etc.) und Stärkung der Kenntnisse über die sinnvolle Anwendung von Hausmitteln.
Wege:
Öffentlichkeitsarbeit
Sensibilisierung der Multiplikatorinnen und der Verantwortlichen in Krankenkassen, Wirtschaftsverbänden etc.
Niedrigschwellige Gesundheitsbildungsangebote, besonders auch für Mütter mit Migrationshintergrund, z.B. in Zusammenarbeit mit Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen.
Schwangerschaft, Geburt
Stärkung der Kompetenz der Frauen im Umgang mit den natürlichen Vorgängen.
Mütter
Stärkung der gesundheitlichen Situation von Müttern/Eltern:
Sicherung von Präventionsangeboten wie Mütterkuren, Mutter-Kind-Kuren
Familienentlastende Infrastruktur (Kinderbetreuungsangebote, Kinder- und Jugendzentren, Erholungs- und Freizeitangebote für Kinder u.a.m.)
Suchtprävention
Hier vor allem: Medikamentenmissbrauch
bewusster Umgang mit nicht zwingend erforderlichen Medikamenten (z.B. Hormonpräparaten)
Wege:
Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit, Sensibilisierung der Multiplikatorinnen, Auseinandersetzung mit Körperbildern;
Gesundheitsbildungsangebote im weiteren Sinne (Frauengesundheitszentren, Volkshochschulen, Frauenbildungsträger)
Prävention gegen sexualisierte Gewalt
Berücksichtigung bei allen Public Health-Konzepten und bei der Stadt- und Infrastrukturplanung;
in den Unternehmen – Schutz vor Mobbing mit sexualisierten verbalen Übergriffen.
Besondere Zielgruppen:
Frauen mit Migrationshintergrund
Größeres Augenmerk als bisher ist auf die gesundheitliche Situation von Frauen mit Migrationshintergrund zu richten, sowohl was die gesundheitliche Aufklärung betrifft als auch die zielgruppenspezifische Wahrnehmung und Diagnose von gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Frauen mit geringen oder keinen Deutschkenntnissen.
Ältere Frauen
Ziel: weitest möglicher Erhalt der Fähigkeit zu einer selbständigen Lebensführung.
Daher sind die besonderen Bedürfnisse bei allen Public Health-Konzepten, die Infrastruktur-planung beinhalten, zu berücksichtigen.
Für ältere Pflegende: zuverlässige Entlastungsstrukturen (Tagespflege, Kurzzeitpflege und dergl.).