Stellungnahme des Landesfrauenrats Baden-Württemberg zu Eckpunkte Gesundheitsleitbild Baden-Württemberg (Entwurf des Sozialministeriums BW in der Fassung von August 2013). Darin knüpfen wir in wesentlichen Bereichen an Stellungnahmen des Landesfrauenrats aus Vorjahren an, insbesondere zur Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg (2009). „Es verwundert uns doch, dass Hinweise auf eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung und Erkenntnisse der Gender-Medizin nach wie vor keinen Eingang in Strategiepapiere und Leitbildformulierungen finden“, schreibt der Landesfrauenrat in seinem Begleitbrief an das Sozialministerium.
Zu Grundlagen
Auch im Koalitionsvertrag der Landesregierung Baden-Württemberg (2011) findet die Erkenntnis „Frauen sind anders, Männer auch“ ihren Niederschlag:
„Wir wollen dafür sorgen, dass Angehörige aller Gesundheitsberufe in ihren Aus- und Fortbildungen für geschlechtsspezifische Unterschiede bei Krankheiten sensibilisiert werden. Zur Unterstützung dieser Ziele setzen wir uns u.a. für eine stärkere Verankerung der geschlechterdifferenzierten Medizin an den Fakultäten ein. In Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und den Fraueninitiativen im Land werden wir Strategien entwickeln, wie die unabhängige Beratung von Frauen in Gesundheitsfragen optimal gewährleistet werden kann.“
Bedauerlicherweise findet diese Absicht im vorliegenden Entwurf keinen expliziten Ausdruck.
Gender Mainstreaming umsetzen!
Eine geschlechtergerechte Gesundheitsförderung würde die Lebensqualität für Frauen und Männer verbessern. Dass dieser Aspekt nicht ausgeführt wird, irritiert umso mehr als ein zielgenauer, in Kenntnis der besonderen Gesundheitsbedarfe erfolgender Einsatz der Gesundheitsausgaben der eigentlich wirtschaftlich vertretbare ist, da Über-, Unter- und Fehlversor-gungen entgegen gewirkt wird.
Um tatsächlich gleiche Chancen auf Zugang zu allen Gesundheitsleistungen zu gewährleisten, wie im Entwurf (S.3) formuliert, müssen die Angebote differenziert nach den Bedarfen erfolgen. Ein angenommener Musterpatient (z.B. männlich, mittleres Alter …) taugt nicht als „Schablone“ für Kinder, Frauen bzw. Personen mit weiteren gesundheitlich relevanten Differenzmerkmalen.
Armut bekämpfen und Gewalt eindämmen!
Gesundheit muss sich jede und jeder leisten können.
Gesundheitspolitik muss mit dafür sorgen, dass Menschen mit geringen Einkommen – dazu gehören mehr Frauen als Männer – keine finanziellen Benachteiligungen und keine Nachteile bei Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge erleiden. Dafür hat die Landespolitik ggf. über den Bundesrat die Rahmenbedingungen zu schaffen.
Gewalt – häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, Mobbing – stellt insbesondere für Frauen jeden Alters ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Der Gewaltprävention und dem Schutz und der Hilfe für Gewaltopfer muss in allen Altersgruppen ein besonderes Augenmerk gelten.
Gleiche Chancen auf Gesundheitsförderung und -versorgung in Stadt und Land.
Gesundheitsförderstrukturen und –angebote, Gesundheitsversorgungsstrukturen und Unter-stützung bei Pflegebedürftigkeit sind Infrastrukturmaßnahmen, auf die die Bevölkerung nicht überall gleichermaßen zurückgreifen kann. Die Attraktivität städtischer Gebiete insbesondere für ältere Menschen erklärt sich vor allem aus einer besseren Infrastruktur, sowohl was die Mobilitätsmöglichkeiten betrifft (ÖPNV) als auch die Gesundheitsversorgungsstruktur.
Wir schlagen daher vor, dass ein besonderes Augenmerk auf die Gesundheitsstruktur-entwicklung in ländlichen Regionen gelegt wird. Projekte könnten exemplarisch zeigen, wie ein Public Health Ansatz unter Einbeziehung lokaler AkteurInnen und der jeweiligen Zielgruppen erfolgreich umgesetzt werden kann.
Wir begrüßen die Priorisierung der Gesunderhaltung und den gleichhohen Stellenwert von Gesundheitsförderung und Prävention neben Kuration, Rehabilitation und Pflege.
Ebenfalls begrüßen wir die grundsätzliche Absicht der Partzipation/BürgerInnenbeteiligung bei allen Programmen und Maßnahmen. Sie wird jedoch nur dann zu validen Ergebnissen führen, wenn die Beteiligungsformen selbst einen breiten Querschnitt der Bevölkerung zielgruppen-adäquat einbeziehen.
Im Interesse des VerbraucherInnen-Schutzes und des Schutzes der abhängig Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich müssen im wachsenden „Gesundheits- und Pflegemarkt“, um den auch Anbieter kämpfen, die primär wirtschaftliche Interessen verfolgen, Informations-, Mitwirkungs- und Kontrollrechte gestärkt werden, wenn erforderlich durch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen.
Zu den Eckpunkten
1. Versorgung
Mit Blick auf sich bereits abzeichnende Engpässe und die absehbare demografische und soziale Entwicklung gebührt der ortsnahen Gesundheitsversorgung in der Fläche, in ländlichen Räumen besondere Beachtung. Insbesondere benötigen die in der Mehrzahl allein lebenden Älteren, vorwiegend Frauen, räumlich und finanziell erreichbare Versorgungsstrukturen. Altersarmut ist in ihren Auswirkungen auf die gesundheitliche Situation zu beobachten; entsprechende Maßnahmen sind einzuleiten.
Telemedizin als Maßnahme zum Erhalt und als Ergänzung ortsnaher Angebote ist für viele Zielgruppen nur bedingt tauglich; neben unzureichenden technischen sind auch Sprachbarrieren vor allem bei älteren Menschen mit Migrationshintergrund zu beachten.
Gesundheitsversorgung ist auch für jenen Teil der Bevölkerung kostenfrei anzubieten, der von Menschenhandel – zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder zur Arbeitsausbeutung – be-troffen ist. Diese betrifft viele Bürgerinnen aus südosteuropäischen EU-Staaten. Der Gesundheitszustand insbesondere von Frauen in der Armutsprostitution ist nach Berichten von Sozialarbeiterinnen überdurchschnittlich schlecht. Entsprechende Stellen – Beratungs- und Anlaufstellen, Gesundheitsämter sind für ihre Gesundheitsversorgungsaufgaben angemessen auszustatten.
2. Pflege
Wir begrüßen die beabsichtigte Förderung neuer Wohnformen, die Stärkung der ambulanten Versorgung Älterer durch geriatrische Versorgungsnetze und die beabsichtigte Weiterentwick-lung der geriatrischen Rehabilitation. Gerade im Bereich der Pflege sind geschlechts-, kultur- und religionsbedingte Unterschiede zu berücksichtigen. Dazu gehört bei professioneller stationärer oder ambulanter Pflege das Recht der Pflegebedürftigen auf eine Pflegekraft des eigenen Geschlechts, kultursensible Pflege etc., die Berücksichtigung etwaiger vorangegangener Gewalterfahren etc. Dies erfordert spezifische Qualifizierungen des Pflegepersonals.
Gewalt stellt auch bei Älteren ein erhebliches gesundheitliches Risiko dar. Gewalt in der Pflege muss thematisiert werden, und Hilfeangebote für von Gewalt betroffene Pflegebedürftige müssen entwickelt werden.
Angemessene Angebote für Jüngere – etwa chronisch erkrankte – Pflegebedürftige sollten explizit ergänzt werden.
Des Weiteren sind im Bereich der wohnortnahen pflegerischen Versorgung Kurzzeitpflegeangebote vorzusehen, die z.B. auch Müttern kleinerer Kinder im Bedarfsfall eine zeitweilige 24-Stunden-Pflegemöglichkeit bieten.
Die an der häuslichen Pflege beteiligten Personen aus dem sozialen oder familiären Umfeld sind überwiegend weiblich: ihre Gesundheitsförderungsbedarfe in einer häufig extrem belastenden Situation müssen ebenfalls identifiziert werden.
Wir begrüßen ausdrücklich die Möglichkeit nach dem Pflegeneuausrichtungsgesetz, dass Pflegende Angehörige eine stationäre Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme auch in Ein-richtungen nach § 111a SGB V (Mütterkurkliniken z.B. des Deutschen Müttergenesungswerks) machen können. Nur dort ist ein frauenspezifischer Behandlungsansatz für pflegende Frauen und ihre besondere gesundheitliche Belastung gewährleistet.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass familiär pflegende Angehörige auch vor der Aufgabe stehen, Erwerbsarbeit und Pflegeaufgaben verbinden zu müssen. (Siehe 3 Prävention)
Für eine bessere Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse der Pflegbedürftigen und der Pflegenden in einem wachsenden und zunehmend umkämpften „Pflegemarkt“ sind deren Informations- und Mitwirkungsrechte durch entsprechende gesetzgeberische und institutionelle Reformen zu stärken. Dazu gehört auch ein verbesserter Schutz für HinweisgeberInnen in stationären Einrichtungen. Mehr Kontrollen sind nötig um gegen unseriös oder rechtlich unzu-lässig agierende Anbieter von Pflegedienstleistungen, Heil- und Hilfsmittel, Sondernahrungen wirksam vorzugehen. U.a. muss der Betreuungskriminalität wirksam begegnet werden.
3. Gesundheitsförderung und Prävention
Wir teilen die Einschätzung, dass eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe ist und dass Gesundheitspolitik auf allen Ebenen und in allen Politikbereichen verankert werden muss.
Insbesondere die Institutionen im Bildungs- und Beratungsbereich haben hier wichtige Aufgaben für Information und bei der Hilfestellung für eine stärkeres eigenverantwortliches Gesundheitsverhalten sowie durch Bereitstellung gesundheitsfördernder Angebote (insbes. im Bereich Ernährung, Bewegung, Prävention psychisch bedingter Erkrankungen …). Das grundlegende Ziel, allen Menschen gleiche Chancen auf Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, verlangt ein differenziertes Eingehen auf ihre besonderen Bedarfe und im Bereich der Partizipation ein differenziertes Zugehen auf die entsprechende Gruppen, damit sie tatsächlich ihre Partizipationschancen wahrnehmen.
MulitplikatorInnen aus der gesundheitlichen und sozialen Beratungsarbeit kommt hier eine wichtige Funktion zu, deshalb sind diese bei lokalen, regionalen und landesweiten Dialog-prozessen zu hören.
Wir begrüßen, dass regelmäßige Gesundheitsberichterstattung eine Basis darstellen soll. Umso mehr muss diese die Gesundheitsbedarfe und das Gesundheitsverhalten unterschiedlicher Zielgruppen differenziert erfassen. Erforderlich ist grundsätzlich ein geschlechterdifferen-zierender Ansatz in der Gesundheitsberichterstattung. Denn Frauen und Männer unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen, nehmen den eigenen Körper in verschiedener Weise wahr und differieren hinsichtlich ihres Gesundheitsverhaltens, z.B. bezüglich der Vorsorge. Besondere Gefährdungen resultieren für Frauen auch aus gesellschaftlichen Rollenzuweisungen und spezifischen Situationen in Arbeitswelt und Familie. Die Frauengesundheitsforschung fordert eine Blickweise, die Unterschiede in Gesundheit und Krankheit zwischen den Geschlechtern angemessen berücksichtigt. Dem trug etwa der Gender Datenreport des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend durch ein ei-genes Kapitel zum „Gesundheitsstatus und Gesundheitsrisiken von Frauen und Männern“ Rechnung (2005).
Nachdem Baden-Württemberg im Jahr 2000 erstmalig einen Frauengesundheitsbericht vorgelegt hat und der bundesweite Frauengesundheitsbericht (2001) ebenfalls mehr als 10 Jahre alt ist, ist es an der Zeit, die nach wie vor gültigen Erkenntnisse aus diesen und weiteren vergleichbaren Berichten in Strukturen einer regelmäßigen Gesundheitsberichterstattung auf Landesebene zu überführen. Entsprechendes gilt für die notwendigen Differenzierungen nach relevanten Lebensaltersphasen sowie vor dem Hintergrund relevanter soziologischer Merkmale. Zugang zu Gesundheitsversorgung, Gesundheitsverhalten und die Formulierung gesundheitlicher Beeinträchtigungen differieren mehr oder minder in Abhängigkeit von Bildungsstand, materiellem Status und ethnischem Hintergrund. So beeinträchtigen z.B. Einkommensarmut, mangelnde Informationszugänge oder Sprachkenntnisse die Chancen auf die Wahrnehmung von Präventionsangeboten.
Zum Schwerpunkt Prävention verweisen wir auf frühere Stellungnahmen des Landesfrauenrats Baden-Württemberg, insbesondere
– Die entsprechenden Passagen in der Stellungnahme des Landesfrauenrats Baden-Württemberg zur Konzeption „Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg“ (2009)
– Die Stellungnahme zum Präventionspakt im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie – Projektgruppe Prävention (Februar 2008)
– Die Vorschläge und Anregungen des Landesfrauenrats Baden-Württemberg zum Aktionsplan 2018 – Ernährung für Kinder und Jugendliche (2008)
– Die Stellungnahme des Landesfrauenrats Baden-Württemberg zum Bericht der Projektgruppe Gesundheitsberichterstattung (2011)
– Die ergänzenden Anmerkungen des Landesfrauenrates zum Bericht der Projektgruppe „Aktiv für ein gesundes Altern in Baden-Württemberg“ (2012).
3.1. Ziele von Prävention aus frauenpolitischer Sicht
In Umsetzung der Erkenntnisse geschlechtsdifferenzierter Gesundheitsforschung muss auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter in ihren jeweiligen Zielgruppen eingegangen werden.
– Unterstützung geschlechtsspezifischer Ansätze in der Prävention und der Gesundheitsförde-rung in Hinblick auf körperliche Erkrankungen, Psychische Erkrankungen, Sexuelle Gesundheit, Soziale Gesundheit und Gesunde Umwelt;
– Förderung Ressourcen-orientierter Ansätze, die auf Kompetenzstärkung zielen;
– Einbeziehung der Praktikerinnen aus der Frauengesundheitsberatung und –therapie;
– Berücksichtigung spezifischer Gefährdungen und Ressourcen der Geschlechter;
– Schaffung gewaltfreier Lebenswelten für Frauen und Kinder;
– Bewegungsförderung im Wohnumfeld und an Arbeitsplätzen;
– Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz in so genannten Frauenbranchen wie dem Einzelhandel und in den Gesundheitsberufen;
– Herstellung gesunder Umweltbedingungen .
Dabei gehen wir davon aus, dass folgende spezifische Gefährdungen von Frauen bestehen:
– Rollenzuweisungen mit Auswirkungen auf das Körperbild, die sich z.B. im Essverhalten und im Medikamentengebrauch/Missbrauch ausdrücken;
– teilweise fehlende Kenntnisse biologisch bedingter Unterschiede zwischen Frauen- und Männerkörpern (Stichwort: „Frauenherzen schlagen anders“);
– Mehrfachbelastungssituationen der Frauen in Familie und Arbeitswelt;
– Gesellschaftlich sich durchsetzende Anforderungen, die zunehmend zu einer Über-medikalisierung natürlicher Prozesse (z.B. Schwangerschaft, Geburt, Wechseljahre) führen;
– Bedrohung durch sexualisierte, körperliche und psychische Gewalt als Alltagserfahrung.
Andererseits können Präventionsangebote auf vorhandene Ressourcen von Frauen im Ge-sundheitsverhalten aufbauen, z.B. auf eine durchschnittlich bewusstere Nutzung von Vorsor-geangeboten und ein durchschnittlich größeres Gesundheitsbewusstsein, das sich z.B. im Inte-resse an gesunder Ernährung und an der Wahrnehmung von Gesundheitsbildungsangeboten äußert. Diese Ressourcen variieren jedoch, wie auch im Entwurf zur Gesundheitsstrategie (2008) festgestellt, mit dem Bildungshintergrund.
Der Bedarf an zielgenauen Präventions- und Gesundheitsförderungsstrukturen und Angeboten differiert in einzelnen Altersgruppen bzw. nach weiteren Zielgruppenmerkmalen.
Größeres Augenmerk als bisher ist in allen Altersgruppen auf die gesundheitliche Situation von Frauen mit Migrationshintergrund zu richten, dazu gehören auch Frauen (etwa aus Südosteuropa), die von Menschenhandel betroffen sind. Zielgruppengerechte Zugänge zu gesundheitli-cher Aufklärung und zur Gesundheitsversorgung und die Wahrnehmung und Diagnose von gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Frauen mit geringen oder keinen Deutschkenntnissen müssen (weiter) entwickelt werden.
Prävention gegen sexualisierte Gewalt muss auf allen Ebenen berücksichtigt werden, in der Kinder- und Jugendarbeit ebenso wie bei der Stadt- und Infrastrukturplanung.
3.2. Zielgruppen aus frauenpolitischer Sicht
Differenzierte Angebote sind insbesondere für folgende Zielgruppen zu entwickeln:
– Mädchen und weibliche Jugendliche,
– erwerbstätige Frauen, Frauen in der Familienzeit,
– ältere Frauen.
Mädchen und junge Frauen
– Förderung eines gesundheitsbewussten Alltagsverhaltens (gesunde Bewegung und Er-nährung; Wahrnehmung von Vorsorgeangeboten;
– Förderung der Wahrnehmung des eigenen Körpers und Stärkung des Selbstwertgefühls. Besonders wichtig im Bereich der Prävention von Essstörungen, der Suchtprävention, der Prävention gegen sexualisierte Gewalt und der Prävention gegen selbstverletzendes Verhalten einschließlich operativer „Korrekturen“ .
Gesundheitsbewusstes Alltagesverhalten und Stärkung der eigenen Körperwahrnehmung kön-nen und sollen bereits in frühkindliche Bildung und Betreuung sowie in allen Schulen integriert sein. (z.B. Kenntnisse über Herkunft und Zubereitung von Nahrung. Hierzu hat der LFR detail-lierte Vorschläge vorgelegt.)
Der Sportunterricht etwa sollte explizit gesundheitsfördernde Haltungs- und Bewegungsabläufe vermitteln, ebenso ein Körperselbstbewusstsein. Gesundheitsbetonte, bewegungsfördernde Rythmisierung des Unterrichts und entsprechende Ausstattung der Schulräume können eben-falls gesundes Bewegungsverhalten fördern.
Weiteres wichtiges Arbeitsfeld: Sexualaufklärung, Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten, Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und durch diese definierte Körperbil-der.
Für die Umsetzung ist in vielen Fällen eine Arbeit mit geschlechtshomogenen Gruppen empfehlenswert.
Erwachsene Frauen in Erwerbstätigkeit/ Frauen in der Familienzeit
Diese sollten verstärkt auf die Wahrnehmung von medizinischen Vorsorgeangeboten und ein gesundheitsbewusstes Alltagsverhalten hingewiesen werden.
Umfassende Information über geschlechtsspezifische Behandlungsmethoden muss zielgruppenbezogen und mehrsprachig angeboten werden.
In Hinblick auf Schwangerschaft und Geburt muss Prävention auch auf die Stärkung der Kom-petenz der Frauen im Umgang mit den natürlichen Vorgängen zielen.
Zu den Rahmenbedingungen gehören für Mütter eine Familienentlastende Infrastruktur (Kinderbetreuungsangebote, Kinder- und Jugendzentren, Erholungs- und Freizeitangebote für Kinder u.a.m.) und die langfristige Sicherung von qualitativ hochwertigen Präventions- und Rehabilitationsangeboten wie Mütterkuren, Mutter-Kind-Kuren.
Gesundheitsbewusstes Alltagsverhalten beinhaltet Gesunde Ernährung, Bewegung, gesund-heitsbewusster Umgang mit Kosmetika, Haushaltschemikalien, Einhaltung von Ruhephasen, Genesungszeiten etc. Für Eltern in ihrer Verantwortung für die Ernährung, das unmittelbare Wohnumfeld und das Gesundheitsverhalten von Kindern sind Verbraucherinnenschutz-Informationen (Lebensmittelkennzeichnungen, regionale Produkte), Kenntnisse über Nah-rungszubereitung, Bedarfe von Kindern, Medienkonsum, Bewegungsbedarfe etc. sowie Kennt-nisse über Alternativmedizin und die sinnvolle Anwendung von Hausmitteln besonders wichtig.
Einen weiteren Schwerpunkt in dieser Zielgruppen muss Gesundheitsförderung in der Er-werbsarbeitswelt, an Arbeitsplätzen bilden: Arbeitsschutz und Bewegungsförderliche Arbeits-platzgestaltung, Bewegungsförderung an Arbeitsplätzen – betriebliches Gesundheitsmanage-ment gerade auch in Branchen mit hohem Beschäftigungsanteil von Frauen (Einzelhandel, Pflegeberufe, Gesundheitsberufe).
Frauen im mittleren Lebensalter und ältere Frauen
Mit zunehmender Dauer der Erwerbstätigkeit und einem wachsenden Anteil älter werdender Bevölkerung stehen aufgrund der bestehenden familiären Rollenteilung zunehmend Frauen im mittleren Alter vor der Aufgabe, ihre Erwerbsarbeit und Pflegetätigkeiten für ältere Angehörige zu vereinbaren. Hieraus erwachsen besondere Belastungssituationen, denen durch Entlas-tungsstrukturen (Tagespflege, Kurzzeitpflege und dergl., eine Infrastruktur, die die Ressourcen der Pflegebedürftigen stärkt), durch gesundheitsfördernde Angebote (geschlechtsspezifisch ausgerichtete stationäre Kurmaßnahmen für pflegende Angehörige) begegnet werden muss.
Ältere Frauen
Public Health-Konzepte, die Infrastrukturplanung beinhalten sind am Ziel: weitest möglicher Erhalt der Fähigkeit zu einer selbständigen Lebensführung – zu orientieren. Die besonderen Bedürfnisse der mehrheitlich allein wohnenden Frauen sind zu berücksichtigen.
Hinzuweisen ist auf das Problem der Altersarmut, ein wachsendes Problem vor allem für Frauen, und der damit sich möglicherweise verstärkenden gesundheitlichen Belastungen (Beispiel: zu kalte Wohnungen im Winter, da Heizkosten gespart werden, unzureichende Ernährungs-qualität). Zur Bewegungsförderung im Alter ist der Landesfrauenrat in seinen ergänzenden Hinweisen zum Abschlussbericht der PG „Aktiv für ein gesundes Altern in Baden-Württemberg“ insbesondere auf den Zusammenhang von niedrigem sozialem Status und Gesundheitsverhalten eingegangen. Kostengünstige bzw. kostenfreie Bewegungsangebote für Frauen mit geringen Einkommen/Renten sind unabdingbar.
3.3. Weitere besondere Zielgruppen und Arbeitsfelder
Frauen in Gesundheitsberufen
Ein weitaus größerer Fokus als bisher gebührt den Frauen, die im Gesundheitssystem beruflich tätig sind. Die gesundheitliche Situation der Beschäftigten selbst ist nicht zufrieden stellend. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist im Interesse des Gesundheitsschutzes dieser Beschäftigten und im Interesse einer Qualitätssicherung der erbrachten Gesundheitsleistungen unerlässlich.
Besondere Präventionsfelder
Suchtprävention, vor allem: Prävention gegen Medikamentenmissbrauch.
Kritisch beobachtet werden muss in diesem Zusammenhang die Verabreichung von Psychopharmaka an überlastete Frauen mit depressiver Verstimmung, unruhige Kinder und pflegebedürftige Ältere.
Bei Frauen im mittleren und höheren Lebensalter ist ein bewussterer Umgang mit nicht zwingend erforderlichen Medikamenten (z.B. Hormonpräparaten) anzustreben.
Erforderlich sind Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit, Sensibilisierung der Multiplikatorinnen, Auseinandersetzung mit Körperbildern; Gesundheitsbildungsangebote im weiteren Sinne (auch in Frauengesundheitszentren, Volkshochschulen, bei Frauenbildungsträgern).
Prävention gegen Gewalt, sexualisierte Gewalt
Berücksichtigung bei allen Public Health-Konzepten und bei der Stadt- und Infrastrukturplanung; in den Unternehmen – Schutz vor Mobbing mit sexualisierten verbalen Übergriffen; Selbstbehauptungstrainings für alle Altersgruppen;
Flächendeckende Hilfeangebote, Beratung, Zufluchtstätten, Aufenthaltstitel für ausländischer Opfer sexualisierter Gewalt und von Menschenhandel Betroffene.
Zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements
Dieses Ziel ist in zahlreichen Positionspapieren definiert worden (z. B. Projektgruppe „Aktiv für ein gesundes Altern in Baden-Württemberg“). Hier merken wir als ehrenamtlich arbeitender Verband an: ehrenamtliche Strukturen bedürfen förderlicher Rahmenbedingungen, um von den zu gewinnenden Ehrenamtlichen längerfristig und mit Freude wahrgenommen zu werden. Keinesfalls dürfen ehrenamtliche Strukturen als kostengünstigeres Modell unbedingt professi-onell zu erbringende Leistungen ersetzen.
Unter förderlichen Rahmenbedingungen wären neben Weiterbildungs- und Qualifizierungsangeboten, Anerkennung der im ehrenamtlichen Engagement gewonnenen Qualifikationen für eine Erwerbstätigkeit u.a. eine rentenrechtliche Wirksamkeit zu nennen. Insbesondere für Frauen im mittleren bis höherem Lebensalter, die sich unter den ehrenamtlich Engagierten (z.B. bei Besuchsdiensten) häufig finden, wären dies wichtige Ansatzpunkte.