Die Zahl der Menschen, die vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, war noch nie so hoch wie heute, stellt die UN-flüchtlingshilfe fest: Ende 2016 waren 65,6 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, rund die Hälfte davon weiblich. (Zum Vergleich: 2006 waren 37,5 Millionen Menschen auf der Flucht. ) Auf der Seite der UN-Flüchtlingshilfe finden sich übersichtliche Zahlen u.a. zu den Herkunftsgebieten und den Aufnahmeländern – sowie Erzählungen von Geflüchteten über ihre Fluchterfahrungen.
In Baden-Württemberg sind ca ein Viertel bis ein Drittel der Zufluchtsuchenden weiblich. Die Tatsache, dass die reale Verteilung der Geflüchteten weltweit sich nicht in den Anteilen von weiblichen und männlichen Flüchtlingen in Deutschland abbildet bzw. dass Frauen mit einem (geschätzten) Drittel den zahlenmäßig geringen Teil der Zufluchtsuchenden hierzulande bilden darf nicht zur Rechtfertigung werden, ihnen die nötige spezifische Unterstützung nicht anzubieten. Denn es ist ja gerade ihrer besonders schutzlosen, rechtlosen und materiell benachteiligten Lage geschuldet, dass sie und ihre Kinder seltener als Männer einen Weg in sichere europäische Länder finden, und sie eher als „Binnenflüchtlinge“ oder als Flüchtlinge in den Nachbarstaaten verbleiben.
Geflüchtete Frauen und Kinder: Herausforderung Zukunft ist seit 2015 ein Schwerpunktthema des LFR.
Dokumentation der LFR-Fachveranstaltung ANKOMMEN. Geflüchtete Frauen in Baden-Württemberg – am 22. April 2016 in Stuttgart 2016-DOKUMENTATION-FACHTAG-ANKOMMEN-
Beschluss der LFR-Delegiertenversammlung vom 22. April 2016:
Ergänzung des Landesaktionsplans Gegen Gewalt an Frauen (LAP) – Geflüchtete Frauen einbeziehen! (einstimmig)
Die Landesregierung wird aufgefordert, den Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen da-hingehend zu ergänzen bzw. zu spezifizieren, dass er der besonderen Situation und dem besonderen Bedarf geflüchteter Frauen gerecht werden kann. Dies muss folgende Maßnahmen beinhalten:
1. Gegenstand des Landesaktionsplans; Definitionen von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt
Zu den Definitionen von sexueller Gewalt und Belästigung ist zu ergänzen, dass für geflüch-tete Frauen auch Fälle darunter fallen, die sich aus den Abhängigkeiten der aufenthalts-rechtlichen Beschränkungen ergeben (keine Bewegungsfreiheit durch Wohnsitzauflage etc.).
Insgesamt sind geschlechtsspezifische Fluchtursachen zu berücksichtigen. Dazu gehören die besonderen individuellen Belange, auch die von lesbischen geflüchteten Frauen und Trans-menschen.
2. Erkennen von Hilfebedarf
• „Screening-Verfahren“ bei der Registrierung: auf Freiwilligkeit beruhendes, effektives Verfahren, das die besondere Schutzbedürftigkeit von Frauen feststellt.
• Aus- und Fortbildung relevanter Berufsgruppen: Sensibilisierung und Schulung des Betreuungspersonal (haupt- und ehrenamtlich, Sicherheitsleute) in Unterkünften für das Gewaltthema – bezogen auf Frauen, Lesben und Transmenschen.
• Mehr weibliche Beschäftigte beim Betreuungs- und Sicherheitspersonal, denen sich Frauen anvertrauen können.
3. Information und Prävention
• Vor individueller Beratung müssen die geflüchteten Frauen über ihre Rechte im Rah-men des aktuellen Gewaltschutzes, aber auch im Asylverfahren informiert werden; im Einzelnen darüber, dass
– sexualisierte Gewalt strafbar ist (auch in der Ehe);
– Frauen Schutz bei Gewalt erhalten;
– sexualisierte Gewalt im Herkunftsland im Asylverfahren relevant sein kann;
– verheiratete Frauen von ihren Ehemännern unabhängige Asylanträge stellen können;
– Verfolgung und Gewalterfahrungen wegen sexueller Orientierung im Asylverfahren relevant sind;
– Frauen in diesen Fällen das Recht auf weibliche bzw. besonders geschulte Anhörerinnen haben;
– Frauen sich an spezialisierte Beratungsstellen wenden können wie Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Beratungsstellen für Lesben und Transmenschen.
• Prävention durch Information der männlichen Bewohner der Unterkünfte über die geltenden Gesetze und Regeln, das Verbot der Gewalt gegenüber Frauen und Kinder.
• Für geflüchtete Frauen angemessene Ausstattung aller Räumlichkeiten, insbesondere der Notunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes: separate Unterbrin-gung von alleinstehenden Frauen oder Unterbringung in getrennten Bereichen mit räumlicher Nähe zu Sanitäranlagen, für Frauen abschließbare Zimmer, separate Dusch- und Sanitäranlagen für Frauen, die abschließbar und nicht einsehbar sind.
4. Hilfesystem
Für umgehenden Schutz und Hilfe in akuten Gewaltsituationen:
• Aufenthalts- und ausländerrechtliche Barrieren gegen wirksamen Schutz beseitigen, die schnelle Hilfen durch Wegweisungen der Täter, Verlegungen der Frauen oder Aufnahme in Frauenhäuser behindern.
• Niederschwelliger Zugang zu Schutz und Beratung für jede Frau:
– Bereitzustellung von Finanzmitteln für zeitnahe Beratung für geflüchtete Frauen;
– Rückzugsräume in Unterkünften, in denen auch Beratung stattfinden kann;
– für alle Formen der Beratung ausreichende Anzahl von Sprachmittlerinnen.
• Unmittelbarer Zugang zu spezialisierten Behandlungszentren, deren Finanzierung sichergestellt werden muss.
• Niedrigschwelliger Therapiezugang.
• Gesicherte Übernahme der Kosten für Psycho- und Traumatherapie.
5. Erweiterung der Standardisierten Interventionskette
Erweiterung der Interventionskette um
– Feste Ansprechpartnerinnen in den Unterkünften für von Gewalt betroffene Frauen.
– Ausreichendes Betreuungspersonal in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in der kommu-nalen Unterbringung.
– Einbeziehung geflüchteter Frauen in die Arbeit der Koordinierungsstelle gegen Gewalt an Frauen.
– Bessere Absprachen zwischen Stadt- und Landkreisen und einen pauschalen Krisenschutz auch für alle geflüchteten Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt sind.
Auszüge aus dem Beschluss der Delegiertenversammlung des LFR 2014:
„Es ist ein Gebot der Humanität – und eine Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen – eine Willkommenskultur und -struktur für Flüchtlinge zu entwickeln; dies gilt im besonderen Maße für jene Gruppen, die vor oder während ihrer Flucht schweren Traumatisierungen ausgesetzt wurden.“
Der Landesfrauenrat begrüßt, dass das Land Baden-Württemberg unter Bezug auf die EU-Aufnahmerichtlinie von 2013 zur Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, die Aufnahmebehörden im Land verpflichtet, den besonderen Belange schutzbedürftiger Personen Rechnung zu tragen. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der weiblichen Flüchtlinge in Baden-Württemberg mindestens eines der Merkmale besonderer Schutzbedürftigkeit aufweist, die in der EU-Aufnahmerichtlinie, Art 21 genannt werden. Denn unter ihnen befinden sich Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen, Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Sie bedürfen des besonderen Schutzes, der Hilfe, des Gehört Werdens und der Bestärkung in ihren Fähigkeiten. (…)
Hilfeangebote in den Kriegs- und Krisengebieten bzw. den angrenzenden Ländern
Die Hilfe, Unterstützung und das Empowerment der Binnenflüchtlinge – in ihrer Mehrzahl Frauen und Kinder – in den Kriegs- und Krisengebieten selbst sowie in den angrenzenden Ländern muss über humanitäre materielle Unterstützung für das Überleben hinausgehen – sie muss, aufbauend auf Erfahrungen von Hilfsorganisationen wie medica mondiale oder amica e.V. etwa in Bosnien, Afghanistan – Perspektiven auf ein selbstständiges Leben eröffnen helfen, durch entsprechende Gesundheitsversorgung und durch Bildung/Ausbildung. Bildungsperspektiven für Flüchtlingsfrauen und -Kinder müssen angeboten werden, angefangen von der ggf. nötigen Alphabetisierung von Erwachsenen bis hin zur beruflichen Bildung. Die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen muss gefördert werden. Neben der Etablierung von Beteiligungsstrukturen der weiblichen Flüchtlinge gehört dazu auch die juristische Ahndung von Verstößen gegen die Menschlichkeit.
Diese Arbeit muss von Deutschland, der EU und der internationalen Gemeinschaft in ausreichendem Umfang mitfinanziert werden.
Konsequente Umsetzung der UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“
Deutschland muss die Umsetzung der Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und die UN Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Sicherheit konsequent vorantreiben.
Weitere Beiträge zum Thema weibliche Flüchtlingen finden Sie im Rundbrief 1-2015: 2015-Frauentag-web
* Für 2014 können vom UNHCR für 30 Mio der 59,5 Mio Flüchtlinge weltweit Angaben zum Geschlecht gemacht werden, diese weisen eine in etwa hälftige Verteilung auf.