Bündnis Bildungszeit in Baden-Württemberg

Jetzt Bildungszeit nehmen!

Seit Juli 2015 ist das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg (BzG BW) in Kraft. Beschäftigte in Baden-Württemberg haben einen Anspruch darauf, sich zur Weiterbildung von ihrem Arbeitgeber an bis zu fünf Tagen pro Jahr freistellen zu lassen. Die Freistellung erfolgt unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes. Bildungszeit gibt es seit langem in den meisten anderen Bundesländern, dort ist sie als „Bildungsfreistellung“, „Bildungsurlaub“ oder „Arbeitnehmerweiterbildung“ bekannt. Bezahlte Bildungsfreistellung kann genutzt werden für die berufliche Weiterbildung, die politische Weiterbildung sowie für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten.

Das Bündnis Bildungszeit Baden-Württemberg, dem auch der Landesfrauenrat angehört, informiert zu Rechten und Verfahrenweisen: Bündnis_Bildungszeit_Flyer_8-Seiten-Zickzack_web
Der Anspruch auf Bildungszeit besteht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Auszubildende sowie für Studierende der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Betrieben mit mindestens zehn Beschäftigten. Das Beschäftigungs- bzw. Ausbildungsverhältnis muss seit mindestens zwölf Monaten bestehen. Für Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter gilt das BzG BW entsprechend.

Machen Sie von Ihrem Recht Gebrauch! Das Gesetz selbst, empfohlene Antragsformulare sowie die wichtigsten Informationen für Beschäftigte, für Betriebe und für Bildungseinrichtungen, des weiteren Verlinkungen zu  bundesweiten Bildungsangeboten finden Sie auf der Website der Regierungspräsidien Baden-Württemberg, hier
Zuständig für alle Fragen ist landesweit das Regierungspräsidium Karlsruhe.

Am 15.3.2018 nahm das Bündnis Bildungszeit in seiner Pressemitteilung ausführlich Stellung zu der durch das Wirtschaftsminsterium Baden-Württemberg geplanten Evaluation des Bildungszeitgesetzes.
Ihr Fazit: Bündnis kritisiert Evaluation als manipulativ, unvollständig und methodisch fragwürdig – Befragung wird nicht unterstützt.

Auszüge aus der Pressemitteilung:
Die Gewerkschaften und zahlreiche Verbände haben entschieden, die Fragebögen in der jetzigen Fassung nicht an ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiterzuleiten. Die Bitte um ein vorläufiges Moratorium hinsichtlich der Befragung hat Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut abgelehnt. Frenzer-Wolf: „Wir sind dennoch weiterhin grundsätzlich bereit an einer Überarbeitung der Befragung mitzuwirken, denn wir wünschen uns Verbesserungen am Gesetz im Interesse der Beschäftigten.“ Das Bündnis Bildungszeit und die Gewerkschaften hatten ihre Anforderungen an die Evaluierung bereits im Mai 2017 in den Prozess eingebracht.

Die Befragung ist nach Auffassung der Verbände auch unvollständig. Bei den Fragen zur politischen Bildung fehlt unter anderem der Themenbereich Digitalisierung. „Gerade die politische Bildung und auch die Ehrenamtsqualifizierung können zur Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung einen wichtigen Beitrag leisten“, so Frenzer-Wolf: „Die Herausforderungen der Digitalisierung beschränken sich nicht auf die berufliche Aus- und Weiterbildung, sondern sind eine gesamtgesellschaftliche und politische Aufgabe“, so die DGB-Vize. Im Bereich der beruflichen Weiterbildung werden der Bereich der Grundbildung und das Nachholen von Schul- und Berufsabschlüssen nicht erfasst. Dies ist mit Blick auf den von der Regierungskoalition formulierten Indikator zur Beteiligung von An- und Ungelernten an der Bildungszeit, der auch in der Ausschreibung zur Evaluation ausdrücklich verankert ist, für den DGB nicht nachvollziehbar. Auch die Landesregierung fördert hier umfassend das Projekt „Alphabetisierung und Grundbildung als Weg zu Erfolg und Teilhabe in Beruf und Gesellschaft“ des Europäischen Sozialfonds (ESF).

Auch die Fragen nach den Gründen für die Teilnahme im Bereich der beruflichen Weiterbildung widersprechen den Intentionen des Gesetzes. Betriebliche berufliche Weiterbildung ist vom Bildungszeitgesetz gerade nicht umfasst. Hier sind die Arbeitgeber in der Verantwortung nicht nur ihre Beschäftigten freizustellen, sondern auch die Kosten der Maßnahmen zu tragen. Dies wird auch in einer Vielzahl von Urteilen, unter anderem des Bundesverfassungsgerichts, deutlich. „Die Zielsetzungen des Bildungszeitgesetzes werden durch solche Fragestellungen ad absurdum geführt“, so Frenzer-Wolf: „Ziel der Bildungszeit ist es, einen individuellen Freiraum für berufliche Weiterbildung, politische Bildung und Ehrenamtsqualifizierungen unabhängig vom Arbeitgeber und dessen betrieblichen Verwertungsinteressen zu eröffnen.“

Fragwürdig ist auch die unvermittelt am Ende des Fragebogens stehende Frage nach der gewerkschaftlichen Aktivität. „Soweit hier die Absicht besteht, Erkenntnisse über das ehrenamtliche Engagement in Gesellschaft, Politik und Betrieb von Teilnehmenden zu erhalten, fehlen aber Fragen nach dem politischen Engagement in Parteien und Verbänden oder in kommunalen, öffentlichen und kirchlichen Ehrenämtern“, so die DGB-Vize Frenzer-Wolf.

Der Landesfrauenrat bemängelt, dass nicht alle berufstätigen Frauen in Baden-Württemberg Anspruch auf Bildungszeit haben. Die Einschränkung des Rechts auf Bildungsfreistellung für alle Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitende trifft besonders Frauen und schränkt sie in ihrem Recht auf Bildungszeit ein. Es sind signifikant mehr Frauen als Männer in kleinen Betrieben beschäftigt. So ist schon insgesamt die Zahl der anspruchsberechtigten Arbeitnehmerinnen geringer und der Zugang zu Bildungsfreistellung von Geschlechtergerechtigkeit weit entfernt.
Auch die Teilnahme von Frauen an Bildungszeitangeboten ist wesentlich geringer als die von Männern. Einer der Gründe ist die Vereinbarkeit von Bildungszeit und Familienarbeit, die für Frauen immer noch ein größeres Problem darstellt. Tradierte Rollenverteilungen dürfen aber nicht dazu beitragen, dass der Zugang zu Weiterbildung und Qualifizierung auch von der Gesetzgeberin ungleich verteilt wird. Artikel 3, Absatz 2 „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Ein erster Schritt wäre das Angebot von gleichzeitigen Kinderbetreuungsangeboten und die nachdrückliche Werbung und Ermutigung für Frauen, Bildungszeit in Anspruch zu nehmen.

„Wir sehen es positiv, dass unsere ehrenamtlichen Führungskräfte über die Durchführungsverordnung zum Bildungszeitgesetz Qualifizierungen für ihr Ehrenamt beantragen können“, so Marie-Luise Linckh, Präsidenten des LandFrauenverbandes Württemberg-Baden e.V.
„Die Frage „Würden Sie Ihre Tätigkeit auch ausüben, wenn Sie für Ihre Bildungsmaßnahme keine Bildungszeit in Anspruch nehmen könnten?“ ist suggestiv und ignoriert die Motivation zum ehrenamtlichen Engagement.“ Die Fragestellung, so die Verbände, genüge wissenschaftlichen Standards nicht. Stattdessen hätte die Frage gestellt werden müssen, warum ein Ehrenamt ausgeübt werde und welche Rolle die Möglichkeit zur Bildungsfreistellung dabei spiele. Insbesondere, ob sich die Qualität des ehrenamtlichen Engagements und die Motivation durch entsprechende Maßnahmen verbessere. „In dieser Form können wir die Erhebung nicht aktiv unterstützen“, so Linckh weiter.

„Kaum gestartet wird das BZG viel zu früh evaluiert“ so Christine Höppner von der Kirchlichen Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung Baden-Württemberg (KiLAG). Weiterbildung braucht Zeit. Das gilt vor allem für die baden-württembergischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie auch in Zukunft qualifiziert am gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und beruflichen Leben teilhaben sollen. Ein Gesetz braucht ebenso Zeit. Zeit, um überhaupt erstmal bekannt zu werden. Dazu bedarf es einer breit angelegten Kampagne. Und Zeit, sowohl für die Arbeitgeber als auch Bildungseinrichtungen, die Umsetzung des BZG in ihren Unternehmen bzw. Einrichtungen zu entwickeln und fest zu implementieren.

„Aus diesen Gründen halten wir die Evaluation für viel zu verfrüht, so Höppner. Die Terminierung war eine politische Entscheidung, der Grund scheint in einer Schonung der Unternehmen zu liegen und weniger dem Wohl der Fortbildungsinteressierten dienen zu wollen. „Nun zeigt sich auch noch in der Evaluation der Teilnehmenden, dass hier über Suggestivfragen das gewünschte Ergebnis erzielt werden soll“, sagte Höppner, „das ist eine Vorgehensweise, die wir so nicht gutheißen können.“

„Wir leben in einer Erwerbsgesellschaft, in der für die Einzelnen und die Arbeitgeber nicht nur die berufliche Qualifikation von Arbeitnehmern zählt. Wir müssen auch die Gesunderhaltung und die Balance von Müttern und Vätern in einem langen Arbeitsleben unterstützen. Der lebensbegleitenden Bildung kommt daher eine besondere Bedeutung zu,“ so die Vorsitzende des Landesfamilienrats Prof. Christel Althaus. Bildungszeit, gerade für die Qualifizierung fürs Ehrenamt und die politische Bildung, ist ein wichtiger und richtiger Beitrag der Arbeitgeber. Denn das Engagement ihrer Mitarbeitenden kommt letztlich auch den Betrieben und der ganzen Gesellschaft zugute. „Vom Land Baden-Württemberg erwarten wir daher eine Evaluierung, die auch diese Aspekte berücksichtigt, differenzierte Fragen stellt und den Akteuren genügend Zeit gibt, Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten. Die jetzt angelaufene Befragung wird dem aus unserer Sicht nicht gerecht“, so Althaus.

„Der Landesjugendring Baden-Württemberg und seine Mitglieder aus der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit haben Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung der Evaluation des Bildungszeitgesetzes. Insbesondere die zeitliche Planung der Evaluation und die Frist für die Rückmeldung, die auf Ende April 2018 gesetzt wurde, ist für die oftmals rein ehrenamtlichen Strukturen in der Kinder- und Jugendarbeit ein zu kurz gefasster Zeitraum. Die Frage der Wirkungen bei den anerkannten Trägern im Bereich der Jugendbildungsarbeit sowie bei deren Teilnehmenden, kann nur über einen deutlich längeren Zeitraum verlässlich beantwortet werden“, so Bendix Wulfgramm, stellvertretender Vorsitzender des Landesjugendrings Baden-Württemberg.

 

Link zur DGB-Homepage/Pressemappe: http://bw.dgb.de/-/MO9