19.11.2021 Beschlüsse der digitalen Delegiertenversammlung des LFR

Keine Anhebung der Minijob-Grenze – eigenständige Existenzsicherung von Frauen stärken!

Der Landesfrauenrat lehnt die im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP festgehaltene Anhebung der Minijob-Grenze von bislang 450 Euro auf 520 Euro ab. Wir erwarten von der neuen Koalitionsregierung mindestens, dass sie keine falschen Anreize schafft und verhindert, dass Minijobs weiter sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze ersetzen. Stattdessen setzt sich der Landesfrauenrat dafür ein, die geringfügig entlohnten Minijobs in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren und die Sonderregelungen abzuschaffen. Wir wollen die Steuer- und Sozialversicherungs-pflicht ab dem ersten Euro. Wir stehen für die eigenständige Existenzsicherung von Frauen und damit für eine Erwerbstätigkeit, die im hier und jetzt aber auch im Alter ein Leben ohne Abhängigkeit oder Armut gewährleistet.

Ursprünglich war mit der Einführung der Minijobs auch das Ziel verknüpft, nicht erwerbstätige Frauen an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Minijobberinnen sind von den Beiträgen zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung befreit. Von den Beiträgen zur Renten-versicherung können sie sich befreien lassen. Arbeitgeber zahlen einen pauschalisierten Beitrag zur Kranken- und Rentenversicherung, woraus aber kein Krankenversicherungs-schutz für die Beschäftigten folgt. Minijobs scheinen kurzfristig besonders als Hinzuverdienst attraktiv. Diese Vorstellungen basieren auf einem traditionellen Familienmodell, das dauerhaft auf den Zuverdienst der Frauen zum (zumeist) männlichen Hauptverdiener setzt und wird von den steuerrechtlichen Regelungen im Ehegattinnensplitting sowie von der beitragsfreien Familienversicherung mit begünstigt. Minijobs gehen also gut einher mit patriarchalen und auf Abhängigkeit basierende Familienkonstellationen, welche nicht zuletzt auch ein größeres Gewaltrisiko für Frauen bergen.
Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde die prekäre Situation von Frauen, die auf Minijob-Basis, beschäftigt waren, besonders deutlich. Monat für Monat reduzierte sich die Anzahl der 450-Euro-Jobs. Eine Absicherung über das Kurzarbeitergeld oder über das Arbeitslosengeld haben Minijobberinnen nicht. Das Beschäftigungsmodell „Minijob“ hat also mit dazu beigetragen, dass Frauen in der Corona-Pandemie finanziell besonders gelitten haben – und das, obwohl sie eine Hauptlast getragen haben, insbesondere was die unbezahlte Sorge- und Familienarbeit angeht. Minijobs bilden nicht, wie bei ihrer Einführung vorausgesagt wurde, eine Brücke in die sozi-alversicherungspflichtige Beschäftigung. Vielmehr bleiben Beschäftigte im Minijob-Verhält-nis kleben, da der subventionierte Minijob auch die sozialversicherungspflichtigen Teilzeit-arbeitsplätze verdrängt. Das ist insbesondere bei kleineren Betrieben und dort vor allem im Gastgewerbe und im Einzelhandel der Fall – zwei Branchen, in denen der Anteil weiblicher Beschäftigter besonders hoch ist. Dies belegt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung.3 Die Studie zeigt, dass ein Minijob in einem Kleinbetrieb eine halbe durchschnittliche sozialversicherungspflichtige Stelle ersetzt. So sind laut IAB in Be-trieben der Größenordnung bis zehn Beschäftigte rund 500.000 Beschäftigungsverhältnisse davon betroffen.4 Die gesellschaftlichen Kosten der Minijobs sind indes hoch. Da der Staat auf einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge verzichtet, entstehen den Sozialversicherungen bei einem durchschnittlichen Minijob Monatseinkommen von bislang 300 Euro Kosten von 36 Euro. Bei rund sieben Mio. Minijobberinnen belaufen sich die Kosten für die Sozialkassen auf demnach 3,02 Mrd. Euro im Jahr.

Demnach zieht die verantwortliche Politik, insbesondere auch mit einer Erhöhung der Minijob-Grenze, wissentlich Geld aus den Rentenkassen ab und verstärkt auch damit das so-wieso schon sehr hohe Risiko der Altersarmut für zukünftige Rentnerinnengenerationen.


Aussetzung des Umgangs nach der Trennung bei nachgewiesener Gewalt

Die Regelvermutung, dass Umgang dem Kindeswohl dient, trifft nach miterlebter häuslicher Gewalt nicht zu. Wenn Kinder Gewalt erlebt haben oder die Gewalt gegen die Mutter miterleben mussten, bedeutet das für sie eine Traumatisierung. Damit die Familie die Chance hat, zur Ruhe zu kommen und die negativen Erfahrungen zu verarbeiten, ist ein zeitlich befristeter, in extremen Fällen auch zeitlich unbefristeter Umgangsausschluss zu veranlassen.

Der Umgang eines Vaters mit seinen Kindern kann auch längerfristig auf Briefkontakt und Geschenksendungen beschränkt werden, wenn dies für das Kindeswohl erforderlich ist.

Kampagne: „Entschlossen gegen Hass und Hetze“ – auch Frauenhass, Antifeminismus und Femizide real und im Netz wirksam bekämpfen!

Der Verband Baden-Württembergischer Wissenschaftlerinnen begrüßt den Beschluss des Ministerrats, einen Kabinettsausschuss einzusetzen, der die Kampagne ‚Entschlossen gegen Hass und Hetze der Landesregierung‘ voran treibt und konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten soll. Wir fordern den Ministerrat auf, die bislang genannten Zielgruppen zu erweitern und auch das Kritierium ‚Geschlecht‘ aufzunehmen und damit die am häufigsten diskriminierte Gruppe der Frauen explizit zu integrieren und die Themenfelder ‚Frauenhass, Antifeminismus. Femizide, sexualisierte Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen aufzunehmen. Ergänzend dazu fordern wir weitere konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul Konvention.

Die o.g. Kampagne ist dringend erforderlich, um gegenseitigen Respekt und ein wertschätzendes Miteinander Aller zu ermöglichen. Es gilt insbesondere von Betroffenen seelisches Leid abzuwenden und der fortschleichenden Verrohung massiv und wirksam entgegenzutreten. Dabei sollten jedoch nicht die Augen davor verschlossen bzw. ausgeblendet werden, dass die verschiedenen  Diskriminierungsmerkmale meist nicht isoliert sondern häufig mehrfach in Kombination  – intersektoral – auftreten. Die häufigste Diskriminierung in Baden-Württemberg erleben Frauen, die aufgrund ihres Geschlecht herabgesetzt, sexualisert, beleidigt oder gar ermordert werden. Die nahezu alltägliche  Geringschätzung von Frauen, die unterschiedliche Bewertung ihrer Leistungen (Gender Bias) ebenso wie Feminismus als Zielscheibe, die Angriffe gegen Genderforscherinnen und Genderforscher sind Ausdruck dafür. Unzählige Frauen können von digitaler Gewalt, Shitstorms und Frauenhass berichten.

Da ein Leugnen dieser Fakten einer weiteren Diskriminierung von Frauen gleich käme, fordern wir die Landesregierung auf, Frauenfeindlichkeit, Antifeminsmus, Frauenhass, Femizide sichtbar in die Kampagene zu integrieren. Nur unter Beachtung des gesamten intersektoralen Spektrums wird es tatsächlich gelingen, effektive Maßnahmen zu entwickeln und geschlossen gegen die vielfältigen Diskriminierungsarten fortzugehen.

Beratungsangebot für Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung per Video und Telefon über die Pandemie hainaus ermöglichen

Der Landesfrauenrat fordert das Sozialministerium auf, auch nach der Corona-Pandemie Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung per Video und Telefon zu ermöglichen und die für die Zeit der Pandemie per Erlass getroffenen Regelungen (Titel „Schwangerschaftsberatung während der Corona-Pandemie“) zu verstetigen.

Die anerkannten Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen arbeiten im gesetzlichen Auftrag und erfüllen hoheitliche Aufgaben, die Konfliktberatung nach § 219 ist zudem verpflichtend vor einem Schwangerschaftsabbruch. Die Beratungsstellen haben daher während der Corona-Pandemie Beratungsmöglichkeiten per Video und Telefon geschaffen sowie die sichere Übermittlung von Beratungsscheinen organisiert, um das Beratungsangebot aufrecht zu erhalten. Das Sozialministerium hat dies per Erlass für die Zeit der Pandemie autorisiert. Die Erfahrungen aus der Zeit der Pandemie zeigen, dass Beratung per Video und Telefon für viele Ratsuchende prinzipiell funktioniert – auch im Fall der Konfliktberatung nach § 219. Für einen Teil der Klientinnen ist Beratung per Video oder Telefon eine echte Alternative, zum Beispiel, weil lange Anfahrten wegfallen. Für die Übermittlung der Beratungsscheine im Falle der Beratungen nach § 219 konnten datensichere und verlässliche Möglichkeiten entwickelt werden. Eine Erhebung der Hochschule Merseburg, die während bzw. am Ende des ersten Lockdowns durchgeführt wurde, bestätigt die Erfahrungen. Daher ist es sinnvoll, die coronabedingt erlassene Ausnahmeregelung zu verstetigen und Video- und Telefonberatung sowie die datensicheren Alternativen zur persönlichen Übergabe der Beratungsbescheinigung als reguläre weitere Möglichkeit neben der Präsenzberatung ausdrücklich zuzulassen.


Konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention

Der Landesfrauenrat Baden-Württemberg fordert die konsequente und vollständige Umsetzung der Istanbul Konvention (Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auf kommunaler und Landesebene). Der Landesfrauenrat Baden-Württemberg fordert die Landesregierung auf, eine effektive und koordinierte Strategie zur Prävention, Opferschutz, Strafverfolgung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt zu entwickeln und den bestehenden Landesaktionsplan und die Landeskoordinierungsstelle entsprechend zu stärken und auszubauen.

Zusätzlich fordern wir:

  • die Einrichtung einer unabhängigen Monitoring-Stelle und Erhebung der benötigten Daten
  • eine verlässliche und einheitliche Finanzierung der Frauenhäuser und Beratungsstellen, unabhängig von Projekten und der Freiwilligkeit von Kommunen
  • die Anerkennung des Miterlebens von häuslicher Gewalt als Kindeswohlgefährdung, um Kinder von betroffenen Frauen besser zu schützen und den Gewaltkreislauf zu durchbrechen.
  • den Ausbau der Unterstützungsangebote für von Gewalt betroffenen Frauen, gemäß dem Schlüssel der Istanbul Konvention, insbesondere Frauenhausplätze, Gewaltambulanzen, Wohnungsangebote nach dem Aufenthalt im Frauenhaus (Second Stage), Fachberatungsstellen

Begründung:
Noch immer gibt es weiße Flecken in der Versorgung und nicht alle von Gewalt betroffene Frauen haben Zugang zu einem gesicherten Frauenhausplatz oder einer Fachberatungsstelle. Landesweit fehlen nach Angaben des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg noch 630 Plätze in Frauenhäusern: 214 Plätze für Frauen, 420 für Kinder (Stand: 2020).

Neun Landkreise halten kein eigenes Frauen- und Kinderschutzhaus vor, in vier Landkreisen gibt es weder ein eigenes Frauen- und Kinderschutzhaus, noch eine eigene spezialisierte Fachberatungsstelle. Acht Landkreise verfügen über keine spezialisierte Beratungsstelle, Interventionsstelle oder einen Frauennotruf. (Kl. Anfrage 16_8081_D, vom 7.5.2020)

Auch auf dem digitalen Fachtag des Landesfrauenrates zur Istanbul-Konvention „Gegen Gewalt an Frauen“ am 22. Oktober 2021, wurden die Versorgungslücken von unseren Expertinnen deutlich benannt.

Darüber hinaus ist eine landesweite Strategie gegen Gewalt an Frauen, die auch die Prävention miteinschließt, unabdingbar. Eine klare Benennung von sexualisierter und physischer Gewalt gegenüber Frauen, die Sensibilisierung von allen öffentlichen Stellen für das Thema, sowie Stärkung von vor allem jungen Frauen, damit sie ein gewaltfreies, selbstbestimmtes Leben führen können.