Stellungnahme des Landesfrauenrates Baden-Württemberg zum Referentenentwurf des „Selbstbestimmungsgesetzes“ der Bundesregierung

Der Landesfrauenrat Baden-Württemberg fordert Bundesfamilienministerin Paus, Bundesjustizminister Buschmann Sund die Bundesregierung auf, durch eine neue Gesetzgebung den besonderen rechtlichen, sozialen und medizinischen Herausforderungen von transsexuellen, transgender und intersexuellen Menschen gerecht zu werden und im Zuge der Vorbereitung hierfür eine differenzierte Rechtsfolgenabschätzung insbesondere im Blick auf

Frauenrechte

Familie

Sport und-Minderjährigenschutz

durchzuführen.

Begründung:

Der Landesfrauenrat begrüßt grundsätzlich das Anliegen der Regierung, die aktuelle Gesetzgebung zu überarbeiten und damit den besonderen rechtlichen, sozialen und medizinischen Herausforderungen von transsexuellen, transgender und intersexuellen Menschen künftig gerechter zu werden.

Im Zuge dessen ist aktuell ein Gesetz geplant, wonach der Geschlechtseintrag im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft erfolgen soll. Nach bisheriger Rechtslage werden Geschlecht, Alter und Geburtsort im Personenstand nicht nach Selbstauskunft, sondern nach Faktenlage eingetragen. Viele Menschen kennen das Gefühl, dass sie ein Unbehagen gegenüber den Zuschreibungen haben, die im Hinblick auf Geschlecht, Alter und Herkunft an sie gerichtet sind. Mit einer „Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft“ werden grundlegende Rechtsverständnisse berührt.

Eine Veränderung des Geschlechtseintrags ist nach geltendem Recht nur in Ausnahmefällen für Menschen möglich, die nachweislich transgeschlechtlich sind. Dies wird im Transsexuellengesetz (TSG) im Detail geregelt. Die Pläne der Bundesregierung bedeuten, dass zukünftig keine Nachweise der Transgeschlechtlichkeit erforderlich sind und dem Geschlechtseintrag eine Selbstauskunft zugrunde liegen soll. Sollten in der Folge rechtlich „Männerräume“ für (noch) biologische Frauen und „Frauenräume“ für (noch) biologische Männer offenstehen, hätte dies unterschiedliche Konsequenzen in Hinblick auf manche nach wie vor notwendigen „Männerräume“ und „Frauenräume“, für den Gewaltschutz und für die Gleichstellungspolitik.

In der deutschen Gesetzgebung hat die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen zum verfassungsrechtlichem Gleichstellungsauftrag von Männern und Frauen geführt. Artikel 3 des Grundgesetzes schreibt vor: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Wenn Geschlechtskategorien grundsätzlich per Selbstauskunft beliebig wechselbar sind, lassen sich keine validen Daten über soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern erheben. Ohne Daten sind weder „Nachteile“ noch deren „Beseitigung“ messbar.

Internationale Erfahrungen aus Ländern, die eine Selbstauskunft zur Grundlage des Geschlechtseintrages diskutiert haben (Self-ID) weisen auf vielfältige gesellschaftliche Dimensionen hin, die betrachtet werden müssen: Jugendschutz1, Fairness im Sport, Quotenregelungen in Politik und Wirtschaft, Gewaltschutz, Strafverfolgung, geschlechtersensible Medizin, statistische Daten und staatlicher Gleichstellungsauftrag. In Europa wird dies in den letzten Jahren in vielen Staaten diskutiert. Aktuell haben Schweden und Italien sich gegen ein Self-ID-Gesetz entschieden. Dänemark und Malta haben es vor einigen Jahren eingeführt. Die Europäische Kommission hat 2020 eine umfangreiche LGBTIQ-Strategie zur Verbesserung der Lebenssituation von LGBTIQ-Personen beschlossen2. Die Erfahrungen zeigen, dass sachliche Aufklärung und öffentliche Debatten über Definition von Geschlecht dem Abbau der Diskriminierung von LGBTIQ- und insbesondere transgeschlechtlicher Menschen zugutekommen.

Die Regierung sieht gemäß des Koalitionsvertrages bei allen gesetzlichen Maßnahmen einen „Gleichstellungs-Check“³ vor. Ein Gesetz, das zukünftig die Änderung des Geschlechtseintrages im Personenstand regelt, kann ein erster Anlass werden, die Wirksamkeit transparenter „Gleichstellungs-Checks“ unter Beweis zu stellen. Einschneidende Veränderungen im Rechtsverständnis von ‚Geschlecht‘ bedürfen einer komplexen Rechtsfolgenabschätzung und einer transparenten öffentlichen Debatte.

1 Die Anzahlder Mädchen, die sich im falschen Körper fühlen, nimmt drastisch zu. Unangepasstes Rollenverhalten wird vermehrt als „trans“ interpretiert mit der häufigen Folge von Hormonpräparaten und Brustamputationen. Verschiedene Hinweise sind hier zu finden: https://transteens-sorge-berechtigt.net/rogd.html Die WHO hat die Klassifizierung 2019 geändert.

2 https://eur-lex.europa.eu/legal-con-tent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0698&from=EN

3 Koalitionsvertrag (2021) S. 114 f.