DGB Arbeitnehmerinnenempfang im Württembergischen Kunstverein – Grußwort der ersten Vorsitzenden des Landesfrauenrates Baden-Württemberg – Prof.in Dr. Ute Mackenstedt

Der diesjährige DGB Arbeitnehmerinnenempfang steht unter dem Motto der Zeitpolitik und wird mit der Frage verbunden, ob unsere Gesellschaft geschlechtergerechter würde, wenn mehr Beschäftigte, Männer und Frauen, mehr Zeit jenseits der Lohnarbeit hätten? Es geht also um mehr als nur um die Frage, welche Auswirkungen hätte eine Arbeitszeitverkürzung? Es geht um die Frage, ob eine Reduktion der Arbeitszeit eine faire Verteilung unbezahlten Sorgearbeit nach sich zieht. Meine Antwort ist hier ganz klar nein, wenn dies nicht verbunden ist mit einer Veränderung in den Strukturen und der Kultur einer Gesellschaft. 

Zeit bzw. Zeitarmut ist ein isoliertes Kriterium, aber Missstände, die strukturell verankert sind und die über lange Zeiträume entstanden sind, können nur durch die Beseitigung dieser strukturellen Missstände nachhaltig verändert und beseitigt werden. Und zu diesen Missständen gehört nach wie vor die Gleichstellung von Frauen und Männern. Sie betreffen alle Lebensbereiche und sind nicht nur einem Kriterium und einem Ressort zuzuordnen. Gewalt gegen Frauen, wirtschaftliche Schlechterstellung der Frauen, z.B. Erwerbsarbeitslücke, Lohnlücke, Rentenlücke, Karriereverzicht zugunsten der Kinder etc. Sorgearbeitslücke, fehlende, eingeschränkte und/oder mangelhafte Kinderbetreuung sind Teil dieser Missstände. Rollenstereotype beherrschen unsere Gesellschaft immer noch und nach wie vor sind Frauen stärker in die unbezahlte Sorgearbeit eingebunden und übernehmen sie zu einem höheren Anteil als Männer. Glauben wir daher, dass sich an dieser Verteilung automatisch etwas ändern wird, wenn Frauen und Männer ihre Arbeitszeit verkürzen? Und auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit muss darauf überprüft werden, welche Auswirkungen es z.B. auf Männer und Frauen hat und wie diese Flexibilisierung ausgestaltet wird. Sehr gerne wird Flexibilisierung mit Home-office verbunden, aber welche Auswirkungen hat es auf Frauen und Männer, wenn z.B. Frauen immer noch mehr in die Sorgearbeit eingebunden sind? In Zeiten der Coronapandemie stieg z.B. der Anteil der Frauen, die sich um Kinderbetreuung gekümmert haben, von 62% auf 77%.

Wieviele Frauen arbeiten in Teilzeit, weil keine adäquaten Kinderbetreuungen da sind? Und wieviel Frauen sind daher von Altersarmut bedroht? Insofern finde ich z.B. die Forderung, dass wir die stille Reserve der Frauen aktivieren müssen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, auf der einen Seite richtig, da so eine eigenständige Existenzsicherung für Frauen thematisiert wird. Andererseits  müssen aber auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um diese Arbeit zu ermöglichen.

Daher begrüßt der Landesfrauenrat Baden-Württemberg auch die Initiative der Landesregierung, eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie zu entwickeln, nachdrücklich, denn hier sind idealerweise alle Ressorts aufgefordert, ihren Beitrag für eine Gleichstellung von Frauen und Männern erst einmal zu dokumentieren und weitere Maßnahmen zu entwickeln. Und dazu gehört u.a.  auch die Schaffung von flexiblen, familienfreundlichen Arbeitsarrangements für Frauen und Männer ohne dass diese Arrangements zu Lasten eines Teils der Bevölkerung geht.