Stellungnahme des Landesfrauenrates Baden-Württemberg zum Mobilitätsgesetz des Landes Baden-Württemberg, LMG, im Rahmen der Anhörung

Der Landesfrauenrat Baden-Württemberg nimmt zum LMG wie folgt Stellung:

„Mobilitätswende geschlechtergerecht gestalten und umsetzen“

Der Landesfrauenrat BW fordert die Landesregierung von Baden-Württemberg und das Ministerium für Verkehr auf, folgende Aspekte im LMG zu ergänzen, um die Mobilitätswende geschlechtergerecht unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Notwendigkeiten von Mädchen und Frauen in Baden-Württemberg zu gewährleisten. Genderkompetenz ist explizit zu betonen und in allen Abschnitten des LMG einzubeziehen. Es sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede zu berücksichtigen, z.B. dass Frauen ein anders geprägtes Mobilitätsverhalten, aber auch ein vielfach erhöhtes Sicherheitsbedürfnis als Männer haben.

Die Mobilitätswende muss geschlechtergerecht mit gezielten Maßnahmen und Prozessschritten umgesetzt und gefördert werden, diese Betonung, Ausgestaltung und Differenzierung fehlt im LMG bisher in zahlreichen Abschnitten:

  1. Für eine Mobilitätswende sind die verschiedenen Bedürfnisse von Frauen und Männern bei der Verkehrsplanung zu berücksichtigen. Die Perspektiven und Mobilitätsmuster von Frauen müssen stärker in die Verkehrsplanung einfließen („Mobilität für alle“). Mobilität muss als Teil der Alltagsorganisation verstanden werden, nicht nur als Weg zur Erwerbsarbeit.  Die Implementierung von Gender Mainstreaming in der Verkehrsplanung und in der Sicherstellung von Mobilität ist deshalb zwingend notwendig.
  • Es ist insbesondere eine rad- und fußgängerzentrierte Straßengestaltung im Umweltverbund umzusetzen. Öffentlich zugängliche sanitäre Anlagen und Abstellmöglichkeiten für Kinderwägen und Fahrräder sind bereitzustellen. Genderkompetenz ist in allen Planungsphasen frühzeitig und umfassend einzubeziehen.
  • Bedürfnisse von Mädchen und Frauen in Bezug auf Sicherheit, Zweckmäßigkeit und Zugänglichkeit im Alltag müssen wesentlicher Bestandteil der Mobilitätsgestaltung sein. Sicherheit im öffentlichen Raum bzw. im ÖPNV ist entscheidend für die Mobilität von Frauen und Mädchen. Dabei kommt es aber weniger auf die Überwachung an, sondern darauf, den öffentlichen Raum zu verändern und die Sicherheit durch Baumaßnahmen zu erhöhen: Notrufsäulen, Bushalte vor der Haustür, freie Sichtachsen auf öffentlichen Straßen & Plätzen, gute Ausleuchtung etc..
  • Neuartige Konzepte und innovative Mobilitätsformen müssen in den ÖPNV integriert beziehungsweise mit ihm verbunden werden, um dadurch die Mobilität im ländlichen Raum wieder und dort ebenso für kurze Strecken, aber mit ausreichender Frequenz, zu ermöglichen bzw. zu verbessern.
  • Auch muss der ÖPNV die besonderen Bedürfnisse von Frauen in Schichtarbeit, z.B. in der Pflege, berücksichtigen. Dazu gehören Bus- und Bahnverkehr in den frühen Morgenstunden, auch am Wochenende, und Angebote, die eine Fahrt bis zur Haustür in den Nachtstunden ermöglicht.
  • Es müssen aktuelle Daten für Baden-Württemberg erhoben werden, die Geschlechterdifferenzen im Bereich der Mobilität thematisieren und vor allem auch explizit auswerten.

Begründung:

Ältere Menschen, Arbeitslose und Frauen sind im Baden-Württemberg im Durchschnitt weniger mobil. Auch sind Frauen weniger mobil als Männer. Diese Gruppen haben weniger Verkehrsmittel zur Verfügung und sind daher auf gut funktionierende öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.[1] Frauen in Schichtarbeit sind in besonderem Maße auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, besonders im ländlichen Raum können sie die angebotenen Busse, die sich an Schul- und Regelarbeitszeiten ausrichten, kaum nutzen. Am Wochenende verkehren kaum oder keine Verkehrsmittel.

Frauen haben aufgrund ihrer sozialen Rolle und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ein anders geprägtes Mobilitätsverhalten als Männer. Sie kombinieren oft verschiedene Wegezwecke wie Arbeit und Familienpflichten, was zu einem komplexen Wegenetz führt. Frauen legen zwar mehr Wege zurück, aber diese sind tendenziell kürzer und sie nutzen weniger häufig das Auto, dafür aber vermehrt den öffentlichen Nahverkehr und gehen öfter zu Fuß oder fahren Rad. Die Doppelbelastung vieler Frauen führt zu einem erhöhten Mobilitätszwang und Zeitdruck. Letztlich wird das Mobilitätsbedürfnis stark durch die individuelle Lebenssituation und die regionale Umgebung beeinflusst. Es fehlt an aktuellen Datenerhebungen für Baden-Württemberg, die Geschlechterdifferenzen im Bereich der Mobilität erheben und vor allem auch explizit auswerten.

Bestehende Planungen sind dominiert von einem männerzentrierten Ansatz und einem begrenzten Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Ungleichheiten bei der Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit und sexualisierte und sexistische Gewalt gegen vornehmlich Frauen und Mädchen. Zusätzlich zur Berufstätigkeit verwenden Frauen täglich mit 4 Stunden und 13 Minuten 52% mehr Sorgearbeit als Männer mit 2 Stunden und 46 Minuten.[2] Die freie Zeit ist ebenfalls reduziert. Sie sind somit auf eine funktionierende Umgebung der kurzen Wege angewiesen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Wohnen ist oft weit entfernt von jeglicher Infrastruktur, Kinderbetreuung, Geschäften, Ärzten und Arbeitsplatz.

Die Weltbank stellt in ihrem Handbuch für geschlechterinklusive Stadtplanung und Stadtgestaltung fest, dass Frauen und Mädchen anfälliger für Klimarisiken sind. Der Einfluss der bebauten Umwelt und fehlender Infrastruktur interagiert mit Faktoren wie Armut, primären Pflegeaufgaben, geschlechterbasierter Gewalt und Verringerung von Mobilität und Zugang.

Wir fordern daher, dass die von uns genannten Aspekte bei der Gestaltung des LMG Beachtung finden und noch nachgepflegt werden. Die Ansatzpunkte waren für uns im ersten Schritt zu zahlreich, um sie im Detail auszuführen, wir unterstützen aber gern, wenn dies noch gewünscht wäre. Beispielsweise sollte schon § 1 Zweck und Gegenstand des Gesetzes um eine „gleichberechtigte Teilhabe für alle“ ergänzt werden. In § 2 sollte die Straßeninfrastruktur auch „geschlechtergerecht“ gestaltet und zusätzlich „die besonderen Anforderungen von Mädchen und Frauen an eine sichere Mobilität“ Berücksichtigung finden.

Wir hoffen in diesem Sinne, gemeinsam einen Schritt hin zu mehr Genderkompetenz in der Mobilitätswende gehen zu können.


[1] Mobilitätsforscherin Ines Kawgan-Kagan über Produkte von Männern für Männer, falsche Fragen an die richtigen Leute und die Rolle des Faktors Gender für ein Gelingen der Mobilitätswende, September 2022, https://futuremoves.com/future-moves-podcast-ines-kawgan-kagan/ FUTURE MOVES Podcast.

[2] fluter Nr. 85 Thema Feminismus.